Zuckerberg kündigte fünf konkrete Maßnahmen an, mit Hilfe derer vermeintliche Fehler aus der Vergangenheit revidiert werden sollen.
- Faktenchecker werden in den USA durch Community Notes (vgl. X) ersetzt. Ob die Änderungen in Europa umgesetzt werden, ist unklar. Ein dpa-Sprecher verwies auf bestehende Verträge mit Meta, laut denen die Deutsche Presse-Agentur als Faktenchecker fungiert. Auch das Recherchenetzwerk Correctiv ist Vertragspartner von Meta.
- Meta vereinfacht seine Content-Regeln, insbesondere themenspezifische Einschränkungen in den Bereichen Migration und Gender.
- Meta reduziert Filter, die Beiträge bisher nach Richtlinienverstößen gescannt und verdächtigen Content automatisch eingeschränkt haben. Stattdessen sollen sich Filter nur noch auf schwere Verstöße konzentrieren. Bei niedrigschwelligen Verstößen setzt Meta künftig auf ein beschwerdebasiertes System. Ein Beitrag muss demnach aktiv von Nutzern gemeldet werden, um von Meta-Plattformen verborgen zu werden.
- Meta entfernt laut eigenen Angaben zukünftig die Reichweitenbeschränkungen für politische Inhalte. Diese galt für einige Monate für Beiträge, die „mit Gesetzen, Wahlen oder gesellschaftlich relevanten Themen zu tun“ haben.
- Meta verlagert Abteilungen, die ihre Plattformen moderieren, aus dem liberalen Kalifornien in das konservative Texas. Diesem Schritt kommt eine hohe symbolische Bedeutung zu.
Meta zwischen den Fronten im US-Wahlkampf
Als Motiv für die weitgehenden Änderungen gibt Zuckerberg selbst an, dass millionenfach Inhalte durch Filter fälschlicherweise gelöscht oder eingeschränkt worden sind. Dies habe bei den Nutzern mehr Vertrauen zerstört als geschaffen. Im US-Wahlkampf vergangenen Herbst wurde Meta nicht selten von republikanischen Vertretern für dieses Vorgehen kritisiert. Teile der Nutzer feiern die neuen Maßnahmen nun als Sieg der Meinungsfreiheit. Ihnen gegenüber steht ein breites Lager, welches in Zuckerbergs Ankündigungen als Schulterschluss mit dem designierten amerikanischen Präsidenten Donald Trump sieht.
Zuckerberg selbst sprach bereits bei der Ankündigung von einem „trade-off“. Dies dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Nutzer mehr „schlechte Inhalte“ – möglicherweise Fake News, diskriminierende Inhalte, Beleidigungen etc. – in ihren Feeds angezeigt bekommen. Im Gegenzug werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Einschränkungen für Beiträge, die zu unrecht betroffen waren, fallen.
Meinungsfreiheit vs. Moderation
Einer der seit langem in den Sozialen Medien schwelenden Konflikte ist der vermeintliche Widerspruch zwischen Meinungsfreiheit und „Zensur“. Infolge der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA schlug Meta einen Weg der Beschränkung von Content durch technische Hilfsmittel ein, der von zahlreichen Kritikern regelmäßig als Zensur und Einschränkung von Meinungsfreiheit eingestuft wurde.
Die Grundlage für diese Einschätzung liegt in der Fehleranfälligkeit der genutzten Filter. Besonders bei „heiklen“ gesellschaftlichen Themen wie beispielsweise Migration oder Sicherheit sorgte dies regelmäßig für Kontroversen.
Das muss man doch wohl sagen dürfen?! Fake News? Strafrechtlich relevante Texte? Kritische Positionen? Wo die Meinungsfreiheit in den Sozialen Medien beginnt und wo sie endet, ist – wie Beobachter des Diskurses der vergangenen Jahre wissen – nicht so leicht zu beantworten, wie man meinen könnte. Zuckerbergs Intention ist es, den Menschen wieder mehr Gehör für ihre Gedanken und Erfahrungen auch zu gesellschaftlich umstrittenen Themen, wie beispielsweise Migration, Umweltschutz etc. zu verleihen.
Der Konflikt mit der Europäischen Union
Seit der Einführung des Digital Services Act und des Digital Markets Act befindet sich die Europäische Union im Dauerstreit mit Meta. Die beiden EU-Verordnungen beschränken Plattformen und Suchmaschinen mit monatlich über 45 Millionen Nutzern und sollen unter anderem die Verbreitung von Falschmeldungen eindämmen. Seit Zuckerbergs neuesten Ankündigen, im Zuge derer der Meta-Chef die zunehmende Regulierung durch die EU kritisierte, rumort es in Brüssel erneut. Sofern Meta auch in der Europäischen Union Änderungen der Inhaltsrichtlinien plant, muss der Social-Media-Riese zunächst eine Risikoabwägung vor der Europäischen Kommission vorstellen. In einer Pressekonferenz wies Thomas Regnier im Namen der Europäischen Kommission zudem darauf hin, dass die Art und Weise der Inhaltsmoderation Meta überlassen sei, sofern sich das Unternehmen an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Europäischen Union halte. Meta kann Community Notes folglich als künftiges Moderationssystem etablieren, solange es effektiv gegen Falschmeldungen vorgeht.
Auswirkungen auf die politische Kommunikation
In den vergangenen Jahren wurde politische Kommunikation auf den Meta-Plattformen zunehmend erschwert – insbesondere durch die Einschränkung der Reichweiten von politischen Inhalten. Zu diesen zählten nicht nur Informationen zu Gesetzen oder Wahlen, sondern auch Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Themen. Unterdessen haben sich die Sozialen Medien zunehmen vom reinen Unterhaltungsmedium hin zu einem unterhaltsamen Informationsmedium entwickelt. Eine neue, politischere Generation wächst in den Sozialen Medien heran und fordert politische Information aktiv ein. So befindet sich das Interesse Jugendlicher an der Politik auf einem Langzeithoch.
Zuckerbergs Ankündigungen werden es politischen Akteuren gleichzeitig erleichtern und erschweren, diesem Trend gerecht zu werden. Dass politische Inhalte in ihrer Reichweite nicht länger eingeschränkt werden, ist ein wichtiger Schritt, um eine ausgewogene politische und journalistische Information zu ermöglichen. Die Abkehr von Fact-Checkern hin zu Community Notes verspricht mehr Meinungsfreiheit und appelliert gleichzeitig an jeden Einzelnen, vermeintliche Fakten zu hinterfragen. Falschinformationen können künftig auf Social Media nur dadurch bekämpft werden, dass wir Nutzer Aussagen hinterfragen, differenzieren und unser eigenes Wissen zur Verfügung stellen – obwohl der Ton möglicherweise rauer wird. Das zieht nicht nur Parteien und staatliche Organisationen in die Verantwortung, sondern jeden einzelnen Nutzer.
Stephan Botz,
Senior Consultant –
Team Lead Public Sector
Philine Blees,
Social Media Manager